Wortgefecht lässt kaum Zeit zum Atemholen: Kaisersescher Theatergruppe spielt Gott des Gemetzels

Die Zuschauer sind betroffen: „Na, hast du dich auch an der einen oder anderen Stelle erkannt“, fragen sie sich gegenseitig, verlegen lächelnd.

Gerade wurde ihnen auf der Theaterbühne der Spiegel ihres eigenen menschlichen Verhaltens vorgehalten. Und da erkannten sie Widersprüche, Selbstgerechtigkeit, Lügen, Wut, Trauer und Verletzungen. Die Zuschauer sind aber nicht nur betroffen, sondern vor allem begeistert von der Leistung der Darsteller auf der kleinen Bühne „Altes Wasserwerk“. Mit der Premiere des Stücks „Der Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza ist dem Kaisersescher Theaterverein nun auch der Einstieg ins Kammerspiel gelungen.

90 Minuten ohne Pause bewältigen Kirsten Roscher (Veronique) und Thomas Ellerich (Michel) sowie Susanne Schubert (Annette) und Stephan Hilken (Alain) einen Textmarathon, bei dem jeder Satz, jeder Blick und jede Handbewegung bedeutsam sind. Die Auseinandersetzung der beiden Elternpaare, die im Laufe des zivilisiert beginnenden Gesprächs in ein hochemotionales Wortgefecht jeder gegen jeden ausartet, lässt kaum Atemholen zu, wenn die Zuschauer bei der Stange bleiben sollen. Zweifellos ist das Vierpersonenstück für Bühnenprofis eine Herausforderung, umso mehr Hochachtung gebührt den Laien auf der Kaisersescher Bühne.

Das Stück beschreibt das Treffen zweier gut situierter Elternpaare, die den gewaltsamen Streit ihrer elfjährigen Söhne schlichten möchten. Sie treffen sich in der Wohnung des Jungen, dem der andere zwei Zähne ausgeschlagen hat. Zivilisiert und sachlich soll das Gespräch der Eltern sein, wie es sich für kultivierte Menschen gehört. Doch schon bald läuft die Sache aus dem Ruder. Halten anfangs die Paare noch zueinander, so offenbaren sich nach und nach Beziehungskrisen und ehelicher Überdruss. Annette findet irgendwann nicht nur ihren dauertelefonierenden Ehemann Alain und das ergebnislose Gespräch zum Kotzen, sondern lässt den Frust über ihr ganzes Leben würgend, spuckend und stöhnend über einer Plastikschüssel raus. Bewundernswert, wie Susanne Schubert sich verausgabt, um Annettes Wandlung von der eher zurückhaltenden Ehefrau in die immer zorniger werdende Furie glaubhaft dazustellen. Wunderbar, wie sie genüsslich Alains Handy in der Blumenvase versenkt. Und als ob das noch nicht fies genug wäre, reißt sie die zuvor noch bewunderten Tulpen aus der Vase, um sie im Wutanfall kurz und klein zu metzeln.

Mit lässigen Gesten und zynischen Bemerkungen gelingt Hilken die Charakterisierung Alains, der weder den Streit der Jungen noch das Gespräch der Elternpaare ernst zu nehmen scheint. Scheinbar steht er am Rande des Geschehens, doch seine zwischen den Handygesprächen in die Runde geworfenen Spitzen treffen ins Schwarze. In die immer aggressiver werdende Auseinandersetzung des Quartetts platzen immer wieder Anrufe von Michels Mutter, die ausgerechnet ein umstrittenes Medikament des Pharmaunternehmens nimmt, das Alain als Anwalt vertritt.

Eine Rolle spielt auch der Hamster der Tochter, den Michel ausgesetzt hat. Denn das kommt zum Tragen bei den gegenseitigen Vorhaltungen, miese Eltern und überhaupt schlechte Menschen zu sein. Als dann noch die Schnapsflaschen geleert werden, ist das verbale Gemetzel, das von tätlichen Angriffen begleitet wird, nicht mehr aufzuhalten. Die vier Schauspieler geben alles, Hut ab! Dabei überragt Kirsten Roscher mit ihrer Bühnenleistung. Sie mimt die intellektuelle, sozial engagierte Schriftstellerin und leicht überhebliche Weltverbesserin ebenso umwerfend und überzeugend wie die kleinkarierte, bitterböse, giftige, heulende, besoffene und ihren Mann prügelnde Ehefrau.

Zum Schluss versteht der Zuschauer den Titel des Stücks, als Alain seine Weltanschauung erklärt: Er habe schon immer nur an den Gott des Gemetzels geglaubt.

Von unserer Mitarbeiterin Brigitte Meier


Weitere Vorführungen am kommenden Wochenende
Die Theaterautorin Yasmina Reza wurde 1959 in eine Pariser Künstlerfamilie geboren. Sie hat Soziologie und Theaterwissenschaften studiert. Ihre Karriere begann sie als Schauspielerin.

Die Themen ihrer Theaterstücke behandeln vor allem das Bildungsbürgertum. „Der Gott des Gemetzels“ wurde 2011 von Roman Polanski verfilmt. Yasmina Reza ist derzeit die meistgespielte zeitgenössische Bühnenautorin. Das Kammerensemble Kaisersesch führt „Der Gott des Gemetzels“ noch am Wochenende, Freitag, 29., bis Sonntag, 31. März, auf. Weitere Schauspieler sind Pam Diederichs, Stefan Gasser, Otto Krechel und Simone Spies. Weitere Infos, auch zu anderen Stücken, gibt es unter: www.theater-kaisersesch.de

 

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