Bürgermeister wird man nicht fürs Geld: Die Büroarbeit beginnt auf dem Traktor
Wenn Gerhard Weber auf seinen bulligen Traktor steigt, dann nimmt er einen Teil des Gemeindebüros mit. Auf dem Acker blickt er nicht nur auf Computerbildschirme, die ihm anzeigen, ob sein Pflug exakt arbeitet.
Per Headset telefoniert er, wickelt als Stadtbürgermeister von Kaisersesch (Kreis Cochem-Zell) seine Amtsgeschäfte ab. „So bin ich auf dem Feld jederzeit erreichbar. Das erleichtert die Arbeit ungemein“, sagt der Landwirt, der mit seiner Familie einen Hof mit Hühnerzucht und Ackerbau betreibt. Weber hat auch außerhalb seines Traktor-Cockpits eine 40-Stunden-Woche – als Chef einer Gemeinde mit 3400 Einwohnern.
Morgens um halb acht sitzt Hans Peter Ammel an seinem Schreibtisch und arbeitet. Nach der Mittagspause gegen 13 Uhr stehen Außentermine an. Da die Stadt Mendig Kulturveranstalter ist, kommen repräsentative Pflichten nicht selten auf den Stadtbürgermeister zu. Drei Jahre lang, von 2009 bis 2011, hat Ammel parallel eine verantwortliche Position bei einer Bank bekleidet. Hier der anstrengende Beruf, da das zeitraubende Amt für eine 9000-Einwohner-Stadt. „Diese Doppelbelastung hätte ich nicht länger durchhalten können“, sagt der 66-Jährige heute, der von sich behauptet, eine gute gesundheitliche Konstitution zu haben. Recht gelassen erwähnt Rudolf Schneichel, dass der Herzinfarkt für ihn „praktisch programmiert“ war. Vor 18 Jahren sendete sein Herz das Alarmsignal, da hatte der Landwirt schon 27 Jahre als Gemeinderat und fast drei Jahre als Ortsbürgermeister auf dem Buckel. Die Doppelbelastung machte auch ihm zu schaffen: „Das war eine harte Zeit, in der es mir auch am Herzen lag, meinen Betrieb nicht zu vernachlässigen.“ Schneichel betreibt in Kruft (4000 Einwohner) eine Schweinezucht, war Ausbilder und Vorsitzender des Bauern- und Winzerverbandes MYK.
Weber, Ammel und Schneichel stehen für den Typus Ehrenamtler, der immer mehr gefordert ist. Weil die Aufgaben als Gemeindechef komplexer werden. Ammel: „Wie ein Frühstücksdirektor darf man sich in diesem Amt nicht benehmen. Der ganze Mann wird verlangt.“ Das Wochenende ist nicht tabu. Samstags und sonntags sind Sonderschichten zu leisten. „Da bin ich ohnehin im Einsatz. So komme ich auf mehr als 50 Stunden die Woche, Tendenz steigend.“ Eine Beobachtung, die die beiden Kollegen unterschreiben. An 23 Stunden ist das Krufter Gemeindebüro offen, da heißt es laut Schneichel meist: „Der Bürgermeister ist anwesend.“ Selbst für die Oberhäupter von Mittelzentren gibt es viel zu regeln. 112 Mitarbeiter auf 58 Vollzeitstellen hat die Stadt Mendig. Zwei städtische Kitas, ein Hort, ein Schwimmbad, der Lava-Dome, die Laacher-See-Halle und die Ratsstuben: Hans Peter Ammel ist Herr über alles. Eine gehörige Portion Verantwortung. „Steuerung ist wichtig, die Entwicklung der Einrichtungen ebenfalls, da ist permanent Handlungsbedarf.“ Und die Arbeit sei komplexer geworden, ergänz Gerhard Weber, seit 2012 Stadtchef. Dazu hat auch der Gesetzgeber beigetragen. Er hat basisdemokratische Elemente in die Kommunalverfassung eingeführt, die dem Bürger mehr Mitspracherecht geben. Die wollen zu jeder Tageszeit gehört werden und ihr Recht durchsetzen. Das Anspruchsdenken der Bürger ist groß. „Fast schon unermesslich“, wie Hans Peter Ammel lächelnd hinzufügt.
Was ist der Antrieb zum Ehrenamt, das kaum Spielraum für Freizeit lässt? Der finanzielle Aspekt kann es nicht sein. Die Aufwandsentschädigung ist meist karg. Von 751 bis 1000 Einwohnern werden monatlich 846 Euro gezahlt, zwischen 4001 und 5000 Einwohnern gibt es 1803 Euro, und Bürgermeister bis 20.000 Einwohner erhalten 2351 Euro. Per Ratsbeschluss kann es einen Aufschlag geben, und zwar in Höhe von 10 Prozent der Aufwandsentschädigung. „Den Menschen, die sich engagieren, geht es nicht ums Geld. Die übernehmen den Job aus Überzeugung, etwas für die Gemeinschaft zu bewirken“, betont Dr. Karl-Heinz Frieden, der Geschäftsführer des Gemeinde- und Städtebundes. Er muss es selbst am besten wissen: Frieden war 16 Jahre Ortschef in seiner Heimatgemeinde Nittel (2100 Einwohner). Von schönen Erlebnissen berichten zwar alle drei Bürgermeister. Es sei ein Amt, das er „gern mit viel Herzblut“ ausfüllt, betont Gerhard Weber. Wiewohl die Entlohnung dürftig ist. Unumwunden sagt er: „Es ist eigentlich eine Frechheit, was wir dafür bekommen.“ Eine Debatte darüber sei längstens angezeigt. Damit sich Mainz inhaltlich mit dem Thema auseinandersetzt. Rudolf Schneichel, der nach 21 Jahren im Mai abtritt, könnte sich vorstellen, dass man einem Beigeordneten „eine monatliche Aufwandsentschädigung von 200 bis 300 Euro“ gibt, um einen bestimmten Aufgabenbereich zu übernehmen. Die Gemeindeordnung lässt feste Aufgabenbereiche für Beigeordnete zu.
Ohnehin gilt: Wenn die Familie ihnen nicht den Rücken freihielte, sähen Ehrenamtler alt aus. Bei Schneichel und Weber ist jeweils ein Sohn in den landwirtschaftlichen Betrieb eingestiegen, die Ehefrauen sind die große Stütze. Ebenso wie beim Mendiger Stadtchef Ammel.
Vor zehn Jahren flammte eine Diskussion auf, ob Kommunen mit mehr als 5000 Einwohnern per se einen hauptamtlichen Bürgermeister bekommen sollten. Das Land erstickte die Debatte im Keim. Sorgte im Gegenteil dafür, dass weitere verbandsfreie Städte wie Cochem (2009) oder Herdorf/Westerwald (2014) ihren hauptamtlichen Bürgermeister zugunsten einer Fusion mit der Nachbarverbandsgemeinde aufgaben. Am liebsten auslassen möchten die Bürgermeister unschöne Erlebnisse mit Bürgern, die in persönlichen Angriffen gipfeln. Wenn „purer Egoismus auf einen einströmt“, ist es nötig, so Hans Peter Ammel, „die Contenance zu wahren und mit Vernunft und Sachargumenten zu begegnen“. Auch wenn die „Mitwirkung der Bürger in Kruft immer sehr positiv“ gewesen ist, so gab es für den altgedienten Ortschef Schneichel Situationen, in denen er handeln musste: „Zweimal habe ich Bürger aus dem Rathaus geworfen, weil ich persönlich angegriffen worden bin.“ So etwas ändert für alle drei nichts am Wesentlichen: Dieses Ehrenamt bereitet Freude und Befriedigung.
Von unserem Chefreporter Thomas Brost, Fotos: Thomas Brost